4 1/2 hours - manuscript of a tennis match
(Ivan Lendl - Michael Chang / French Open 1989)

30 paintings
acrylic on cardboard, framed
each sheet 35 x 25 cm
all framed 168 x 240 cm
2013/16

French Open 1989
Achtelfinale
Ivan Lendl (1) - Michael Chang (15)
Schiedsrichter: Richard Ings
Dauer: 4h 37min

Der Spielverlauf ist in seiner zeitlichen Ausdehnung abgebildet, mittels Kreuzen und der Schiedsrichteransagen. Ein Kreuz stellt eine Sekunde dar. Die Ansagen zum Punktestand sind auf Französisch. Lendl gewinnt die ersten beiden Sätze souverän. Der dritte Satz geht unerwartet an Chang. Lendl ist nervös. Chang gewinnt auch den vierten Satz. Die Zuschauer sind in Aufregung und stören mit Zwischenrufen. Der Schiedsrichter ist um Ruhe bemüht. Lendl verliert die Nerven. Im fünften Satz hat Chang starke Krämpfe in den Beinen. Doch er besiegt Lendl mit verzweifelt trickreicher Spielweise. Das Manuskript dokumentiert das vie einhalbstündige Match und führt hinein in eines Tennisspiels selbstvergessene Form.

Publikation

4 1/2 Stunden - Manuskript eines Tennismatches

2016 @ Textem Verlag Hamburg

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Holger Pohls “Manuskript eines Tennismatches“
von Stephan Hartmann

Der Gesichtsausdruck Ivan Lendls nach dem Matchball verrät die große Fassungslosigkeit: Wie kann es ein Noname (Michael Chang) wagen, die unausgesprochenen Anstandsregeln des Systems zu mißachten bzw. in Frage zu stellen? Wie kann das ausgefeilteste Spiel seiner Zeit, die härteste Vorhand, der stärkste Wille gegen einen Aufschlag von unten verlieren? Nach gut viereinhalb Stunden, in denen das Publikum seine Zuwendung lauthals durch Schreien, Pfeifen und Applaudieren artikulierte und die Spieler haderten, verzweifelten und kämpften, manifestierte sich auf der Seite des Verlierers Lendl nur noch blanke Enttäuschung.

Im Manuskript eines Tennismatches ist von diesen Gefühlsausbrüchen nichts zu sehen. Es führt den Rezipienten in andere Gefilde: weg vom Spektakel des emotionalen Missbrauchs hin zur stillen, abstrakten Form. Das Spektakel generiert Rahmenbedingungen, spielt mit Erwartungshaltungen, entwickelt Mythen und stürzt seine Helden. Diese großspurige Dramaturgie wird durch die Arbeit Holger Pohls unterlaufen, in dem sie in der Stille die Konfrontation und Auseinandersetzung sucht, ohne sich auf die verführerischen Attribute spektakulärer Inszenierung einzulassen.

In dem es sich der dem Spektakel innewohnenden Überrumpelung entzieht, sich also nicht auf den schnellen Moment ausrichtet, der die Entscheidung für eine Seite des Spiels beinhaltet, es entkleidet, in emotionslose Fragmente aufteilt, wird das künstlerisch unbefleckte Tennis als Ort der Reflexion bespielbar. Die Darstellung von Zeit rückt in den Vordergrund, in dem sie sich von 4h 37min dargestellter Zeit zu drei Monaten Lebenszeit ausdehnt, die es in etwa für das Verfassen des Manuskriptes brauchte: Seite für Seite gefüllt mit mehr als 16000 Zeichen, akribisch mit dem Pinsel gemalte Schiedsrichteransagen, Spielstände und Kreuze, die jeweils für eine Sekunde des Spiels stehen und am Ende das Manuskript von viereinhalb Stunden umcodierter Zeit ergeben… In dieser Ausdehnung von Zeit, dieser Meditation, wird aus einer defizitorientierten Wahrnehmung, immer zu wenig Zeit zu haben, eine ressourcenorientierte Handlung, die eine Situation liest und deren Potentiale künstlerisch nutzt.

Wie bei anderen “Zeitarbeitern”, von Roman Opalka, Hanne Darboven bis On Kawara, offenbart sich im Manuskript eines Tennismatches ein Hang zum Obsessiven. Die beharrliche Strenge solcher Arbeiten ist stets auch ein Mittel, eine genaue Kunstbetrachtung einzufordern. Kurz vor Ende des vierten Satzes provozieren ein kleiner Totenkopf und ein Smiley einen Aufmerksamkeits-Shift, eine Umlenkung unserer Aufmerksamkeit. Kleine Emoticons, die in die nüchterne Protokollierung eine Lücke der Empathie reißen. Mit einem Augenzwinkern stellt sich das Manuskript gegen eine konformistische Lesart, in dem der absurde Kontext seiner Rezeption immer deutlich mitschwingt: Wie zum Teufel liest man ein Tennisspiel?

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